Fühlen
von Frauke Martini
Ich bin hier
um zu fühlen.
Fühlen macht mir Angst.
Ich verbinde Fühlen
mit Schmerz.
Darum tu ich alles, um nicht zu fühlen.
Ich renne weg
und lenke mich ab.
Ich arbeite sehr wichtige Dinge
und machen Sport
und gehe shoppen
und reise hin und her
und fressen meine Gefühle runter.
Ich begrabe sie
unter einem Haufen Müll
in den dunkelsten Höhlen
meiner Eingeweide.
Dort liegen sie
teils jahrelang begraben
als totgeglaubte Kinderkörper,
von mir selbst erschaffen
und wollen doch nicht mehr
als einfach nur gefühlt,
gesehen,
wahrgenommen werden.
In ihrer Verzweiflung
versuchen sie
sich von all dem Müll zu befreien
unter dem sie verrecken sollen
und kämpfen
gegen die Höhle
in der sie feststecken.
Zunächst
zeigt sich das
durch ein eigenartiges Rumoren.
Eine vage Unzufriedenheit steigt auf.
Zweifel
an der Richtigkeit des Jetzt
versuchen
den Weg zu bahnen.
Es folgen
launenhaft scheinende Gefühlsausbrüche,
die in Hysterie,
Manie oder Depression gipfeln.
Wenn ich jetzt
immer noch nicht fühlen mag
erhöhe ich den Berg von Müll
durch einige
beruhigend wirkende Tabletten.
Doch die Gefühle wehren sich.
Sie können nicht anders,
denn sie wurden von mir geschaffen,
um gefühlt zu werden.
Sie schrecken
in ihrem Schrei nach Liebe
auch nicht davor zurück
die Höhle anzugreifen
in der sie eingekerkert wurden.
Wann öffnest Du mir das Tor
und lässt mich frei?
Wann schickst Du mir
Deinen Atem
und schaffst mir so den Raum
durch den ich fließen kann?
Ich habe nicht vor zu bleiben.
Ich durchfließe Dich, wenn Du Dich für mich öffnest.
Ich habe Dir so viel zu schenken.
Denn jenseits des Schmerzes
fließt das Leben.
Atme und fühle.
Fühlen heißt leben.
Leben heißt lieben.