Er und Sie

 

oder

 

Sie und Er

 

Eine dramatische Tragikomödie.

Inneres Psychodrama

für zwei Körperhälften in einem Akt.

 

von Frauke Martini

 

Setting:

Ein Sofa. Ein Spiegel. Im Dunkeln eine Garderobe, an der ein Zylinder und ein schwarzer Frack hängen.

Vor dem Spiegel steht eine linke Körperhälfte, strahlend schön, sehr weiblich, in ein halbes, langes, silbernes Glitzerkleid gehüllt. Sie scheint sich im Gegenlicht der Scheinwerfer zeitweise fast aufzulösen. Im Haar trägt sie einen sternenbesetzten Silberreif, der an einen Heiligenschein erinnert.

 

Auf dem Sofa sitzt ein rechtes, halbes, schwarz verkohltes Skelett und schaut in sein Handy. 

 

 

Schau doch mal, wie hübsch ich bin.“

schaut nicht auf, grunzt etwas Unverständliches in sein Handy

hinein

Schau doch mal!“ nachdrücklich

Schaut genervt hoch, lächelt angestrengt, nickt

Mensch Mann! Bitte bewundere mich doch mal!“

Ok ok. Du bist hübsch.“

Wütend „Das kann doch nicht wahr sein! Bitte bewundere mich doch einmal!“

Wird ebenfalls wütend „Ich habe doch gesagt, dass Du hübsch bist! Reicht das etwa mal wieder nicht?“

Nein, das reicht nicht! Weil Du es nämlich nicht ehrlich meinst! Es kommt nicht von Herzen!“

Ach…? Und woher willst Du das wissen? Kannst Du etwa in mein Herz schauen oder was?“

Ja, geradewegs.“

Und wie muss ich es sagen, dass es bei Dir auch wirklich ankommt? Was stimmt mal wieder nicht? Mein Tonfall? Mein Gesichtsausdruck? Die Farbe meiner Unterhose?“

Atmet hörbar aus

Beide schmollen eine Weile.

Ok. Ich versuche wenigstens, ehrlich zu sein. Ich bemühe mich. Aber was soll ich an dir bewundern? Die Art, wie du dich aufplusterst? Wie du dich völlig überbewertest? Du nimmst dich viel zu wichtig. Was für eine Arroganz ist es, die dich behaupten lässt, du könnest alles alleine, du bräuchtest mich nicht? Du machst dich dick und fett und lässt mir keinen Platz im Leben. Du meinst, du kannst alles besser, weist alles besser, machst alles besser. Du arbeitest, schmeißt den Haushalt, renovierst, reparierst. Alles muss so laufen wie du es meinst und nicht anders. Du hast alles unter Kontrolle. Und wehe, jemand verstößt gegen deine Vorschriften! Dann hast du wieder den Beweis bekommen: Besser machst du es selber, denn nur so, wie du es machst, ist es richtig. Ich habe keinen Platz neben dir. Niemand hat einen Platz neben dir. Es sei denn, ich begnüge mich mit dem Platz im Mülleimer. Denn was auch immer ich mache, ist dir sowieso nicht gut genug. Wo bitteschön soll ich da auch nur einen Hauch von Bewunderung hernehmen? Es ist nichts übrig geblieben von mir an deiner Seite als ein verkohltes Skelett. Ich bin froh, dass mir noch der Tod bleibt als Zufluchtsort!“

Beide starren sich an, atmen heftig.

Leiser, leicht drohend „Ich tue das alles, um von dir bewundert zu werden. Es gibt keinen anderen Grund.“

Spöttisch „Du plusterst dich auf, nimmst mir die Lebensberechtigung, machst mich klein, verachtest und verabscheust mich, damit ich dich bewunder?“

---------------längeres Schweigen----------

Bewunderst du mich denn?“

Verwirrt „Ich? Dich? Äh...“ spöttisch „Meine Vorstellungen von einem Mann, den ich bewundern kann, sehen anders aus. Du lässt dich von mir in die Ecke drängen. Ich bin viel stärker als du. Du setzt dich dort hin in deine Ecke und jammerst, machst dich zum Opfer. Ab und zu meinst du, mal männliche Kraft präsentieren zu müssen, was dann in erster Linie unser Sohn zu fühlen bekommt. Du sagst, dass du ihm Grenzen setzen musst. Aber in Wahrheit machst du ihn klein, beschämst ihn. Das Gleiche machst Du mit mir. Meinst, den Richter spielen zu dürfen! Deine zerstörerischen Aggressionen widern mich an. Was bitte soll ich an dir bewundern?“

Atmet hörbar aus, rutscht vom Sofa herunter, kauert nun davor, starrt sie an

Geht zu ihm, schaut ihn voller Wut und Verachtung von oben herab an

Steh auf, steh deinen Mann! MANN! Verdammt nochmal!“ beginnt zu schreien „Du Nichtsnutz! Du Schwächling! Du verachtenswerte, nichtsnützige Kreatur! Du Weichei! Du hinterletzter Schlappschwanz! Du Nichts!“ schreit noch lauter, voller Wut „Aaaahh!!! Du hängst da vor dem Sofa herum! Machst dich klein! Verkrümmelst dich! Haust ab! Verpisst dich! MACH DIE AUGEN AUF! STEH DOCH MAL AUF UND SEI EIN MANN!!!“ Ihr Kopf verwandelt sich in einen Feuerdrachen, sie speit eine Feuersalve auf ihn. Er verkohlt noch mehr.

Während ihres Wutanfalls ist er noch tiefer gerutscht, hat seinen Kopf abgedreht, stützt ihn in seine Hand. Eine Zeit lang herrscht Stille, dann spricht er sehr leise, mit geschlossenen Augen „Ich kann nicht. Ich kann nicht. Bitte lass mich in Ruhe. Ich kann nicht. Ich bin sooo müde. Bitte stell keine Erwartungen mehr an mich. Ich kann nicht. Ich bin nichts. Ich bin nichts. Ich bin nichts. Zerfällt zu einem Häufchen schwarzer Asche

Mann! Nein!!! Das gibt es doch gar nicht! Du alte Pissnelke! Ich verachte dich! Du Trottel! Ich verachte dich aus dem tiefsten Grund meines Herzens. Haust einfach ab und lässt mich hier sitzen. Ich kann dich wegpusten!“

Ich weiß. Ich bin nichts.“

Das kann doch nicht sein. Das kann doch nicht dein Ernst sein! MANN! Steh auf!“ immer noch laut, aber nicht mehr schreiend „Ich brauche dich.“ beginnt vor Wut zu heulen „Ja! So ist es! Ich brauche dich! Ich brauche dieses elende Häufchen Nichts! Und immer wenn ich dich brauche verpisst du dich einfach! Du Sack! Du Arsch! Das kann doch nicht wahr sein! Du Opfer! Du glaubst, nur weil du mit deiner beschissenen männlichen Kraft so viel Scheiße in der Welt angerichtet hast, kannst du dich jetzt für den Rest der Zeit zurück ziehen und Wunden lecken?!? MANN! Du Opfer! Steh doch auf!“ heult, zerrt an ihm herum

Leise „Ich bin nichts.“

Kreischt „Aaaah! Sieh was du aus mir machst! Ich werd zu einer hasserfüllten alten Furie. Heult hemmungslos „Ich bin es so leid. Ich bin es so leid. Es kotzt mich so an. Du Scheißkerl. Du verpisst dich in dein Opferdasein, machst dich winzig, verkrümmelst dich in deine Männergruppen, hinter dein Handy, hinter deinen Computer, hinter deine Zeitung. Und ich muss alles alleine machen! Sieh doch nur! Ich gehe arbeiten, verdiene das Geld, renoviere, saniere, koche, putze, schmeiße den Haushalt, kriege Kinder, ziehe sie groß. Und du?? Du verkriechst dich in dein Opfer-Dasein. Gibst dir die Schuld für alles, was Böses passiert auf der Welt. Leidest vor dich hin. Badest in deinem Selbstmitleid. Spielst die arme Wurst, den Märtyrer. Hängst dich ans Kreuz, haust noch ein paar Nägel zusätzlich rein, damit alle auch ja sehen können, wie sehr du leidest und büßt. MANN!! Hör endlich auf mit der Scheiße.“

Es geht nicht. Ich bin unendlich müde. Ich kann nicht mehr. Ich bin nichts.“

Flehend „Aber siehst du denn nicht, dass ich dich brauche? Siehst du das denn nicht? Du lässt mich allein. Ich bin doch nur halb ohne dich! Wenn du weg bist, werde ich nie mehr vollständig sein!“

Ich bin nichts.“

Ich fasse es nicht.“ verzweifelt „Verpisst sich einfach… Ich fasse es nicht.“ Schüttelt immer wieder den Kopf… Atmet ------- Atmet -------------- „Ich fasse es nicht...“ allmählich ruhiger

Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie wir aus dieser Scheiße wieder raus kommen sollen.“ ---------atmet -------------

schläft

So eine Scheiße. Was soll ich denn jetzt machen?“ steht auf, schaut aus dem Fenster, atmet „So eine Scheiße...“ -----atmet---------

Mann? Mann?“ sanfter „Mann? Ich sehe keinen Ausweg.“

schläft

Ich sehe keinen Ausgang.“ ------------schweigt----------

Ok Mann. Was brauchst du von mir, um wieder in deine Kraft zu kommen? Gibt es irgendetwas, was ich tun kann, das dir helfen würde?“

Atmet lange, öffnet die Augen mühsam, atmet… „Ich fühle mich so unendlich schwer.“

Dringt in ihn „Was brauchst du? Was würde dir gut tun?“

Sehr leise „Du denkst immer nur an dich.“

Was?“ überrascht, verwirrt

Du hast immer nur dich und dein Leid im Blick.“

Empört „Aber du doch auch!“ atmet, denkt lange nach. Leise:

Ich möchte nicht so stark sein. Ich hasse mich, wenn ich so bin. Ich bin nicht besserwisserisch und kontrollierend und festhaltend. Ich möchte dich nicht verachten. Ich fühle mich furchtbar in dieser Rolle.

Überwindet sich, atmet ein

Ok. Ich sehe dich. Ich sehe dich in deinem Leid. Ich sehe deine Not. Ich sehe das unendliche Leid, das du angerichtest hast. Es ist der riesige Mühlstein, auf dem du liegst. Es ist der Mühlstein des Leides, des Hasses, der Verachtung, der Wut, des Zornes, der Rache, der Kleinheit. Ich selbst habe dich entmannt, auf diesen Stein gelegt und dich mehrfach verbrannt.“ Atmet „Ich spüre Schuld.“ atmet „Ich fühle mich schuldig.“ Tränen kullern die Wange herab „Es schmerzt.“ schnieft

Öffnet die Augen

Schnieft „Und dann sehe ich, wie du auf dich drauf einen zweiten Mühlstein gelegt hast. Den Stein der Schuld. Der Selbstbeschuldigung, der Scham, der Selbstzweifel, des Selbsthasses. Und dazwischen zermalmst du dich langsam.“

Hebt mühsam den Kopf

Ich sehe dich. Ich fühle deine Not. Ich fühle deinen Schmerz und deine Pein.“ ---atmet, fühlt, denkt----------- „Ich fühle mit dir.“

Richtet langsam seinen Oberkörper auf, erstaunt „Du fühlst mit mir?“

Nickt „Ja. Und ich sehe. Ich sehe uns.“

Was genau siehst du?“

Ich sehe dich, wie ich dich beschrieben habe. Und ich sehe mich. Ich sehe mich, wie ich alles übernehme, alle Aufgaben an mich reiße, auf mich häufe. Wie ich alles versuche zu sein. Ich bin alles. Und dabei sehne ich mich in der Tiefe meines Herzens so sehr danach, Dich an meiner Seite zu haben.“

Aber da ist doch gar kein Platz mehr für mich!“

Sehr leise „Ich sehne mich so unendlich danach, einfach nur Frau sein zu dürfen. Abgeben. Mich von diesen riesigen Lasten befreien, mit denen ich mich schwer mache. Loslassen. Einfach nur sein dürfen. Mich anlehnen. Weich werden. Mich hingeben. Verzeihen. Lieben.“ weint leise

Tastet sehr vorsichtig nach ihrer Hand

Schaut ihn an „Verstehst du das? Fühlst du das?“

Nickt „Und ich sehe noch mehr. Ich sehe dich, wie du mich angreifst. Mich klein machst. Mich beschimpfst. Mich mit Schmutz und Scheiße beschmierst. Wie du mich verspottest, entmannst, kreuzigst, verbrennst.“ ---längeres Schweigen---

Nickt, senkt den Kopf

Und ich sehe deine Scham darüber, dass Du das machst. Dass Du so hasserfüllt bist, so wütend, so gewaltvoll, so zerstörend, so lieblos. Und ich sehe, dass du all das, was du mit mir machst, mit dir selber machst. Täter und Opfer.“

Nickt sehr nachdenklich, seufzt traurig

Du lastest Dir eine ordentliche Portion Scham und Schuld auf den Rücken!“ schweigt, denkt, kichert. Leise: „Kein Wunder, dass Du so häufig an Rückenschmerzen leidest.

Deine Scham legt Dich in Ketten. Macht Dich zum Opfer.“

Nickt, flüstert „Und um die Schuldgefühle ertragen zu können, um auch nur eine winzige Hoffnung auf Rehabilitierung zu haben, büße ich, indem ich mich ans Kreuz nagele. Ich haue besser noch ein paar Nägel mehr rein, damit auch ja jeder sieht, wie sehr ich leide, wie sehr ich für meine Schuld büße. Und bevor ich das Kreuz aufstelle, beschmiere ich mich noch mit Kot, damit jeder versteht, was für ein wertloses Stück Scheiße ich bin, mich beschimpfen und bespucken kann.“

Beide kauern vor dem Sofa, nicken, schauen vor sich hin, schweigen.

Täter – Opfer. Schuld – Sühne.“

Täter – Opfer. Schuld – Sühne.“

Beide schauen sich fassungslos an

Ein Kreislauf!“

Ein Teufelskreis!“

Und wo ist der Ausgang? Wie können wir diesen Mist stoppen?“

Beide sitzen vor dem Sofa auf dem Boden. Schweigen. Atmen.

Nachdenklich „Wo ist der Ausgang?“

 

Plötzlich fängt er an zu lachen. Er beginnt sehr leise, es könnte auch ein Husten sein. Dann wird es zu einem leisen, glucksenden Lachen, das aus der Tiefe seines Bauches aufsteigt. Sie beobachtet ihn, zunächst ablehnend, ungläubig, erstaunt, verwirrt. Dann fängt es in ihr an zu dämmern, sie kann es aber noch nicht fassen.

Fassungslos „Nein.“

Lacht, schaut sie an, nickt.

Nein.“

Doch.“ Lacht mittlerweile lauter. „Doch!“

Beginnt ebenfalls zu lachen, erst noch sehr vorsichtig… „Nein...“

Nickt, lacht, hält sich den Bauch vor Lachen

Das kann doch nicht wahr sein.“

Doch!“ Ihm laufen mittlerweile vor Lachen die Tränen die Wangen herab.

Lacht nun auch lauter, immer noch ungläubig „Einfach so?“

Nickt „Ja. Einfach so!“

Beide lachen laut, halten sich die Bäuche, kugeln sich vor Lachen.

Einfach so!“

In einer kurzen Lachpause „Wir dürfen einfach so aufstehen, uns den Staub von den Klamotten klopfen und gehen?“

Nickt, lacht „So ist es. Einfach so.“

Und nichts bleibt?“

Nichts bleibt. Warum sollte auch was bleiben?“

Beide lachen noch eine Weile, dann werden sie still.

Von all dem Hass, all dem Leid, all dem Schmerz, all dem Kampf, von all dem bleibt einfach nichts.“

Es ist alles nichts. Es ist nicht wirklich. Es ist vergangen. Es ist weg. Unwichtig. Vielleicht ein blöder Fehler. Abgehakt. Vergeben. Fertig.“

Und was machen wir jetzt?“

Wir gehen nach Hause. Ende der Vorstellung. Vorhang zu. Fertig.“

Einfach so?“

Einfach so.“ ---denkt--- „Wir können auch noch etwas bleiben und weiter spielen, wenn wir das möchten. Eine kleine Weile.“

In aller Unschuld.“ prustet los

Beide lachen ausgelassen. ----werden still.

Und weißt du was?“

Schaut sie an, zieht fragend die Augenbrauen hoch

Wenn wir zu Hause sind, dann gibt es uns nicht mehr.“

Denkt nach, nickt „Ja. Wir sind nicht zwei. Wir sind Eins.“

Es gibt keinen Unterschied. Nicht den Allerkleinsten. Nichts Trennendes ist wirklich. Nichts Trennendes bleibt übrig.“ ---denkt---

Nicht mal Lingam und Yoni.“ kichert

Nickt, steht auf, klopft sich den Staub von der Hose, hilft ihr auf „Komm.“

 

 

 

Sie gehen zur Garderobe. Er nimmt seinen Zylinder, sie nimmt den Frack, hilft ihm hinein. Er rückt noch ihren Heiligenschein zurecht, kichert. Sie knickst vor ihm zum Dank, legt ihre Hand in seine Dargebotene und lässt sich führen.

Zunächst Hand in Hand, später Arm in Arm gehen sie tief in die Bühne hinein, werden immer kleiner und lösen sich im Licht auf.

 

 

 

 

Ende